Wirtschaft Italiens Krisen-Airline
Trickserei oder großes Comeback? Der bemerkenswerte Neustart von Alitalia
| Lesedauer: 4 Minuten
Von Gerhard Hegmann
Freier Wirtschaftsredakteur
Italien rettet seine nationale Airline – wieder einmal. Die neue Fluggesellschaft ITA tritt das Markenerbe an und fliegt weiter. Kritiker sprechen vom Taschenspieler-Kniffen. Und die Lufthansa streckt bereits die Fühler aus.
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Bei Alitalia läuft es anders als bei der Air Berlin im Jahr 2017. Damals verschwand die deutsche Airline mit ihrer Insolvenz. Doch in Italien bedeutet die Pleite einer großen Fluggesellschaft nicht das Ende. Als Donnerstagabend um 23.23 Uhr der letzte Alitalia-Flug AZ1586 in Rom-Fiumicino landete, war das zwar ein Einschnitt nach 74 Jahren, aber nicht das Aus.
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Vielmehr beginnt jetzt das vierte, stark abgespeckte Leben des nationalen Luftfahrtheiligtums. Die Marke geht nämlich nicht unter und wird weiter zu sehen und zu buchen sein.
An diesem Freitag konnten Passagiere bei der neu gegründeten italienischen Staatsairline ITA (Italia Trasporto Aereo) einsteigen. Es gab zwar ein Ticket- und Buchungsdurcheinander, weil die Alitalia-Tickets mit dem 15. Oktober ihre Gültigkeit verlieren und nur teilweise umgebucht werden konnten. Auf der Alitalia-Homepage war einerseits zu lesen, dass die Airline ihren Flugbetrieb eingestellt hat, andererseits aber auch „Erlebe die Dolce Vita von Rom – Buchen sie jetzt“.
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Nach Medienberichten hat die Staatsairline soeben für 90 Millionen die Markenrechte an Alitalia samt Homepage, Uniformen für die Besatzungen und weiteren Bestandteilen in einer Versteigerung erworben. Es war der zweite Anlauf, denn bei einer ersten Bieterrunde für mindestens 290 Millionen Euro ging kein Angebot ein.
Die Versteigerung war eine Auflage der EU-Kommission, damit die Nachfolgeairline zumindest nicht automatisch die Marke erwerben sollte. Brüssel bewertet ITA nicht als wirtschaftliche Alitalia-Nachfolgerin, sondern als neue Airline.
Ein Schachzug, damit die massiven Staatshilfen aus Rom für Alitalia nicht angerechnet werden müssen und die Grundlage für Klagen von Wettbewerbern bieten. Daher prangt auf einer ITA-Maschine aus dem Alitalia-Bestand groß der Schriftzug „Born in 2021“ (Geboren in 2021).
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Für Kritiker ist die italienische Staatsairline ITA kein echter Neustart, wenn sie die weltbekannte Marke Alitalia nutzen kann. ITA-Präsident Alfredo Altavilla erklärte, dass der Markenname gesichert wurde, damit kein Konkurrent ihn nutzen kann. Die Lackierung der Flugzeuge werde von Alitalia aber Zug um Zug auf den Schriftzug ITA Airways umgestellt, mit himmelblauem Rumpf und der italienischen Trikolore auf dem Leitwerk. In Internet-Diskussionsforen wird von einem Taschenspielertrick der italienischen Regierung gesprochen. Seit 2002 machte die Airline keinen Gewinn mehr.
Zumindest ist ITA jetzt eine stark geschrumpfte Airline, die mit einer kleinen Flotte von nur 52 Flugzeugen und nur 2.800 Beschäftigten statt zuvor rund 10.000 und wohl auch niedrigeren Löhnen beginnt.
In den nächsten Jahren soll die Flotte wachsen, 2025 sollen es 105 Maschinen sein – und bis zu 5700 Beschäftigte. An ihren Drehkreuzen Rom-Fiumicino und Mailand-Linate musste ITA Teile der Start- und Landerechte der alten Alitalia abgeben.
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Der Neustart ist kein Vergleich zur einst ruhmreichen Zeit von Alitalia, die mit einem Fast-Monopol als nationaler Stolz bewertet und regelmäßig auch von den Päpsten genutzt wurde. In den späten 1960er-Jahren war Alitalia sogar die Nummer drei in Europa, nach British Airways und Air France und noch vor der Lufthansa.
Kritiker sehen Taschenspieler-Trick
1996 erfolgte eine Teil-Privatisierung der italienischen Staatsairline. Zur facettenreichen Geschichte gehört auch ein zunächst gescheiterter Einstieg von Air France. Es folgten immer wieder Krisen und neue Hoffnungen sowie zahlreiche Streiks der Gewerkschaften, die sich gegen Einschnitte wehrten.
In einem zweiten Leben der Airline wurden lukrative Aktivitäten von 2009 bis 2015 vom italienischen Konsortium CIA übernommen und weiter die Marke Alitalia genutzt. Dann folgte das dritte Leben, unter der neuen Holding Alitalia SAI mit Geld aus Abu Dhabi und einem 49 Prozent Anteil von Etihad Airways aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.
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Zur Ironie der Luftfahrtgeschichte gehört, dass Etihad einst auch zu den Großaktionären von Air Berlin gehörte. Während die früher zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft unterging, wurde Alitalia trotz roter Zahlen immer wieder staatlich gestützt. Schätzungen gehen davon aus, dass der italienische Staat seit 2008 über zehn Milliarden Euro in die Airline pumpte.
Dabei war Alitalia bereits vor der Corona-Krise pleite. Die Pandemie führte dann auch bei anderen Fluggesellschaften zu tiefroten Zahlen. Die Regierungen gewährte Milliardenbeträge an Krediten oder Beteiligungen, damit die nationalen Fluggesellschaften weiterleben konnten. So überlebte auch die Lufthansa.
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Mit der Rückzahlung der Staatshilfen bekommt Deutschlands größte Airline jetzt wieder mehr Freiheiten. Fest steht, dass die Lufthansa im Touristenland Italien wachsen will. Seit Längerem versuchte Lufthansa-Chef Carsten Spohr Alitalia von einer gleichberechtigten kommerziellen Partnerschaft zu überzeugen und Flugpläne abzustimmen. Dazu kam es aber nie.
Mit ITA ist nun ein Neuanfang möglich. Spohr hat sich bereits mit ITA-Chef Alfredo Altavilla getroffen. Der Lufthansa-Chef hat mehrfach betont, dass er von einem weiteren Zusammenrücken der Airlines ausgeht, auch in Europa. Lufthansa ist allerdings mit seinem Interesse an einer wiederbelebten und von Altlasten befreiten Alitalia nicht allein. Auch die US-Gesellschaft Delta Air Lines ist an der neuen nationalen italienischen Fluggesellschaft interessiert.
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