Alitalia: Wie Draghi Italiens Krisen-Airline retten will (2024)

Unter den Altlasten, die Mario Draghi vor einem halben Jahr in Rom übernommen hat, ist Alitalia ein besonders schwerer Brocken. Um den chronischen Pleiteflieger mit den grün-weiß-roten Nationalfarben am Seitenruder in der Luft zu halten, schmissen Italiens kurzlebige Regierungen in den vergangenen 25 Jahren 13 Milliarden Euro zum Fenster raus. Nun soll der Todeskampf beendetwerden.

Wie Phönix aus der Asche wird in Rom am 15. Oktober eine neue Fluggesellschaft vom Boden abheben. Sie heißt Italia Trasporto Aereo, kurz ITA, ist vergleichsweise schlank, aber wie ihre Vorgängerin Alitalia im Staatsbesitz. Dem Start-up soll gelingen, was die vor 75 Jahren gegründete Alitalia seit der Liberalisierung des europäischen Luftverkehrs in den Neunzigerjahren nicht fertiggebracht hat: Es soll wettbewerbsfähig werden. Die Aussichten dafür sind nichtrosig.

ITA, 2020 von der Regierung des Fünf-Sterne-Premiers Giuseppe Conte gegründet, geht unter denkbar ungünstigen Bedingungen an den Start. Das Coronavirus hat die Luftfahrtbranche in die größte Krise ihrer Geschichte gestürzt. Selbst kerngesunde Fluggesellschaften mussten mit Steuer-Milliarden vor der Insolvenz gerettet werden. Gegen die großen Rivalen tritt die italienische Airline nun stark geschrumpft an. Im Kampf um Marktanteile auf den lukrativen Langstrecken wird die Alitalia-Nachfolgerin einen besonders schweren Stand haben. Auf den Inlandsflügen bedrängen sie die Billigflieger immer aggressiver. Zudem ist der Starttermin unglücklich. Im Oktober beginnt die Saure-Gurken-Zeit der Fluggesellschaften. Der kommende Pandemie-Winter dürfte besonders hart werden. So steht das neue Flug-Abenteuer vorerst unter keinem gutenStern.

Andererseits: Was sich nun in Rom anbahnt, ist eine Wende. Noch jeder Regierungschef vor Draghi hat Steuergelder in die kriselnde Airline gepumpt, ohne dem Unternehmen strukturelle Veränderungen abzuverlangen. Mit der Toleranz ist es nun vorbei. Die 52 ITA-Maschinen werden in sechs Wochen nur abheben, wenn die außerordentliche Beharrungskraft der italienischen Luftfahrt gebrochen wird. Die bittere Wahrheit: Entweder startet ITA oder im Himmel über Italien fliegen keine nationalen Flugzeugemehr.

In Brüssel laufen noch immer zwei Untersuchungsverfahren gegen Alitalia

Die Vorgeschichte dieses Neuanfangs reicht in die Hochphase des staatlichen Interventionismus in die italienische Wirtschaft zurück. Die Regierung Conte schlug im Frühjahr 2020 ausländische Übernahmeangebote für die insolvente Alitalia aus und gründete stattdessen die neue Fluggesellschaft ITA. Für die Alitalia-Rettung stellte Rom 3 Milliarden Euro zur Verfügung. Die Geldzusage wurde wie üblich von der Behauptung begleitet, ein Urlaubs- und Exportland wie Italien müsse eine Fluggesellschaft besitzen. Dieser Zwang war längst zu einem fadenscheinigen Vorwand geworden. 2020 hat Alitalia nur mehr 7,7 Prozent der von und nach Italien fliegenden Passagierebefördert.

In Brüssel laufen zu der Zeit noch immer zwei Untersuchungsverfahren gegen Alitalia. Man prüft, ob es sich bei den 1,3 Milliarden Euro in den Jahren 2017 und 2019 geflossener Kredite um unerlaubte Staatshilfen handelte. Es beginnen zähe Verhandlungen. Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager verlangt von Italien einen Bruch mit der Vergangenheit. Ihre Bedingung für die Genehmigung der Rettungsaktion ist der Neustart mit einer Fluggesellschaft, die mit dem Krisenflieger Alitalia nichts gemein hat. Draghi beendet in Rom die italienische Hinhaltetaktik. Alfredo Altavilla, international erfahrener Topmanager und lange die rechte Hand von Fiat-Chrysler-Chef Sergio Marchionne, übernimmt das Kommando bei ITA. Es wird ein neuer Geschäftsplan vorgelegt, der sich den Bedingungen Vestagers annähert. Am 15. Juli kommt der Durchbruch. Die EU gibt grünes Licht für den Start vonITA.

Die Einschnitte sind tief. Die kleine Airline rollt am 15. Oktober mit 52 Flugzeugen an den Start, gegenüber 104 Alitalia-Maschinen. ITA nimmt zunächst 2800 Mitarbeiter an Bord. Alitalia beschäftigt 10524 Personen. Die Nachfolgerin erhält 85 Prozent der Start- und Landerechte Alitalias auf dem Mailänder City-Airport Linate und 43 Prozent auf dem römischen Flughafen Fiumicino. Die EU pochte zudem darauf, dass sie auf den Markennamen Alitaliaverzichtet.

Der Preis von 100 Millionen Euro ist eher symbolisch

Nun läuft der Countdown für den fliegenden Wechsel. Am Dienstag akzeptierten die Alitalia-Verwalter kurz vor Ablauf der Frist um Mitternacht das ITA-Angebot zur Übernahme der Flugsparte der alten Airline. Für den eher symbolischen Preis von 100 Millionen Euro sichert sich das Unternehmen die benötigten Leasing-Flugzeuge, die Startrechte und weitere direkt mit dem Flugverkehr verbundeneAktivitäten.

Der Weg ist aber noch weit. Die größte Hürde auf dem Weg von Altavilla ist die Einigung über die Arbeitsverträge für die 2800 Beschäftigten. Die Gewerkschaften reagieren in alter Manier auf die verlangten Veränderungen. Sie riefen für den 24. September erst einmal einen Streik aus. Sie verlangen, dass ITA 5500 Mitarbeiter einstellt und dass das Corona-Kurzarbeitergeld für die Alitalia-Beschäftigten bis 2025 verlängert wird. Altavilla soll ein innovatives Vertragsmodell auf den Tisch gelegt haben, das die Gewerkschaften rundweg ablehnen. Er will eine Senkung der Bezüge und mehr Flexibilität durchsetzen. Die Zeit drängt. Bis 23. September muss ITA der Flugaufsichtsbehörde die Zusammensetzung ihrer Crewsmelden.

Darum behält es sich Altavilla für den Fall eines Scheiterns der Verhandlungen vor, direkt mit dem interessierten Personal Verträge abzuschließen. An Interessenten fehlt es nicht. Anfang der Woche waren bei ITA bereits 12000 Bewerbungen auf die 2800 Stellen für Piloten, Flugbegleiter und Bodenpersonal eingegangen. Höchst überraschend: Bisher bemühen sich wenige Alitalia-Beschäftigte um einen neuen Job. 70 bis 90 Prozent der Bewerber kommen nicht von derKrisen-Airline.

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